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Stephan Berg
Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren
Zu den neuen Arbeiten on Degenhard Andrulat


Auf den Bildern Degenhard Andrulats ist alles sichtbar und unsichtbar zugleich. Die Malerei zeigt sich als prozessuale Entwicklung, die nicht nur sich selbst bei ihrer Verfertigung zuschaut, sondern auch den Betrachter an diesem Prozess teilhaben lässt., und gleichzeitig, durch permanente, schichtweise Übermalungen jedes Bild doch ein Stück weit der Sichtbarkeit entzieht. Innerhalb dieser Mal-Entwicklung kommt dem Verhältnis zwischen Bildgrund und Oberfläche eine besondere Bedeutung zu. Die initial gesetzte Farbe – oft ein leuchtender, fast brennender Ton – bildet den Anfang eines bis zu zwanzig Schichten umfassenden Malabenteuers, dessen Richtung und Ergebnis bis zuletzt offen bleibt. Andrulats Malerei ist seit jeher gekennzeichnet durch die Konzentration auf die Farbe als alleinigen Ausdrucksträger des Bildes, wobei er etwa gleich weit entfernt bleibt von der ent-individualisierten Radikal-Autonomie völliger Monochromie, wie auch von den wolkigen Subjektivismen koloristischer Farb-Emotion. Diese Positionierung hat nichts mit Unentschiedenheit zu tun, sondern mit der Überzeugung, dass Bilder heute nur noch gelingen können, wenn sie selbst ihre Ein-Deutigkeit hintertreiben. Das betrifft nicht nur die Entstehung der Bilder, sondern auch ihre Wahrnehmung durch den Betrachter.

Sosehr aber auch der Mal- und Betrachtungsvorgang von Überraschungen gekennzeichnet sein darf bzw. muß: In seinen Rahmenbedingungen erweist er sich als klar gesetzt und präzise definiert. Bezogen auf die neuesten 1999 und 2000 entstandenen Arbeiten bedeutet das: Gegeben sind im Wesentlichen vier Grundformate(jeweils ein kleines (110 x 75 cm), mittleres (160 x 110 cm) und ein großes (180 x 160 cm) Hochformat, sowie ein (110 x 140 cm) Querformat, dazu ein Leinwand- bzw. Nessel-Malgrund und eine (überwiegend) vertikal organisierte Malfläche. Die malerische Auslotung dieser dreipoligen Versuchskonstellation, ist letztlich die Auslotung dessen, was Malerei elementar ist: Farbe, Malgrund, Bildformat. Aber Degenhard Andrulat systematisiert sein Verfahren nicht bis ins Letzte, sondern sucht vielmehr nach dem Punkt, an dem sich das Gewisse und das Gewußte in das Mögliche hinein auflöst, und so zu einer schillernden  visuellen Bestätigung des unausschöpfbaren Reichtums malerischer Möglichkeiten wird.

Wir sehen auf den Bildern eine malerische Ordnung, durch die stets das eigen-sinnige (Selbst)bewußtsein der Farbe durchschimmert. Das auktoriale Prinzip der Bildsetzung ist stets begleitet von kontingenten Prozessen, in denen sich die Schicht für Schicht überlagernden Farbbahnen ihre eigene, schimmernde, geheimnisvolle, strahlende und opake Wirklichkeit schaffen. Daraus entwickelt sich kein Konflikt, kein agonaler Antagonismus, sondern ein Zugleich verschiedener Bildwirklichkeiten, das seine Qualität daraus bezieht, Gegensätze auszubalancieren, ohne sie zu unterdrücken.

Dieses Prinzip eines oszillierenden Zusammenziehens eigentlich konträrer Bildhaltungen praktiziert Andrulat auf mehreren Ebenen. Am deutlichsten zeigt sich das im Umgang mit der Farbe, die der Maler jeweils rein, d.h. unvermischt aufträgt und solchermaßen zunächst ihre Eigenwertigkeit betont, um diese im Verlauf der verschiedenen Übermalungen wieder mehr in den Hintergrund zu rücken und zum Ausdruck unauflösbarer Verknüpftheit von malerisch gesetzter Entscheidung (und Entschiedenheit) und unverfügbarer Selbstorganisation der Farbe werden zu lassen.

Auch der malerische Umgang mit jeder entstehenden Farbbahn folgt dieser Doppelstrategie. Die (in den meisten Fällen von oben nach unten, selten auch von unten nach oben verlaufende) Pinselführung, entwirft sich auf der einen Seite als ein, bis in jedes einzelne Pinselhaar hinein, exakter Selbstabdruck bzw. –ausdruck, als Kenntlichwerdung der stets über die ganze Bildbahn gezogene Malbewegung, vom farbgesättigten Anfang bis zum ausfasernden Ende an der unteren, bzw. oberen Bildkante. Insoweit zeigt sich jedes Bild auch als getreuer Abdruck der Malhand und ihrer Verknüpfung mit der Bildfläche, diesem heißen Punkt an dem sich das „Gebilde“ mit seinem „Bildner“ berührt, wodurch es notwendigerweise immer sowohl zum Porträt (des Malers), wie auch zum Selbstporträt der Malerei wird; (in diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß die 180 x 160 cm messenden Formate Andrulats schon durch ihre Größe eine anthropomorphe Dimension aufweisen, die durch die strikte Vertikalität des Pinselstrichs noch erheblich gesteigert wird).

Über diese Form der Doppelgesichtigkeit hinaus, erscheint die Pinselspur aber immer auch als ein mögliches Motiv des Bildes. Ihre sich verdickenden und verdünnenden, zusammenlaufenden und auseinanderstrebenden Lineaturen und Farbverläufe wären dann als der sich vom Bildfonds differenzierende Bildgegenstand zu interpretieren, der dennoch immer Teil des Bildgrundes bleibt.

Schließlich läßt sich die Dialektik dieser Malkonstellation auch an dem – malerisch elementaren – Verhältnis von Flächigkeit zu Räumtiefe, indem sie an einigen Stellen des Bildes vertikale Spuren der meist leuchtenden ersten Farbschicht zwischen den aus vielen Schichten aufgebauten, angrenzenden Farbzonen stehen lässt. Als warmes, oft gelbes oder orangerotes Farblicht durchstrahlt die Farbe die darübergelegten dunkleren Zonen und schimmert dort, wo sie rein und unvermischt aus dem Bildgrund leuchtet, wie Sonnenlicht durch die Risse einer brüchigen Bretterwand. Andererseits wird diese räumliche Wirkung durch eine vorhangartig wirkende, rhythmisch gesetzte Vertikalität, die eine horizontale oder vertikale, aber nicht in erster Linie räumliche Dimension des Bildes befördert, in die Fläche zurückgebunden.

Darüber hinaus erschwert Andrulat die Entscheidung zwischen einer räumlichen oder flächigen Lesart, indem er das Bedeutungsfeld zusätzlich um die Dialektik von Rand und Mitte erweitert. Häufig teilt Andrulat dabei das Bildfeld nicht in etwa gleichmäßig breite Bahnen ein, sondern verdichtet die vertikale Struktur jeweils zu den Rändern hin, während der mittlere Bereich oft ein relativ homogenes, dunkel-opakes Feld bildet. Die Konzentration zu den Rändern hin, lenkt die Aufmerksamkeit auf die seitlichen Bildabschlüsse und sorgt, neben der allein schon im Pinselduktus enthaltenen vertikalen Dynamik, auch für eine horizontale Dynamik. Bezeichnenderweise aber weist diese Beschleunigung weder in vertikaler noch in horizontaler Richtung, über die Bildränder hinaus. Der „Stau“ der Vertikalen zu den linken und rechten Bildrändern hin, zielt nicht auf Transgression der materiell durch das Tafelbild gesetzten Grenzen, sondern respektiert diese, indem er sie noch einmal hervorhebt

Im Verhältnis zu den äußerst differenziert und „elaboriert“ bezeichneten Rändern, erscheinen viele der mittleren Bildzonen in ihrer von wenigen Wechsel bestimmten, gleichmäßigeren Konsistenz auf den ersten Blick beinahe als „unbesetzt“. Aber genauso wenig, wie die Randverdichtungen die Erweiterung des Bildes auf die angrenzende Wand anstreben, so wenig sind die ruhigen mittleren Bildfelder Zonen der Leere. Beide sind Teil der grundsätzlich dialektischen Malhandlungen Degenhard Andrulats. Die äußeren Bildränder sind sozusagen doppelt malerisch markiert, um die Notwendigkeit der Abgeschlossenheit des malerischen Bildraums zu verdeutlichen, und die entdramatisierten Bildmitten gewinnen ihre Gelassenheit eben aus der malerisch betonten Begrenzung des Bildraums, der immer zugleich eine Bildfläche ist.

Die sich daraus ergebende triptychale Binnenstruktur einiger Bilder ist so auch nicht als Hinweis auf ihre etwaige Transzendenz-Sehnsucht zu werten – mystischer Erweckungsaura tritt Andrulat schon mit betont nüchternen Bildtiteln entgegen, die allein die Hauptfarben nenne, aus denen das Bild entsteht – sondern als Verdeutlichung dessen, dass alles, was ein Bild sein kann, sich allein an dem Bild für Bild neu zu justierenden Verhältnis von Farbe, Form, Fläche und Raum innerhalb der Bildgrenzen entscheiden muss. Trotz, vielleicht aber sogar wegen der Vergleichbarkeit der Bilder, die nicht nur formal naheliegt, sondern auch dadurch beglaubigt wird, dass Degenhard Andrulat stets an mehreren Bildern gleichzeitig arbeitet und damit auch Entscheidungsprozesse aus einem Bild in ein anderes hinein fortsetzt, sind – jedenfalls die Großformate – allesamt strikte Einzelbilder, die nur für sich allein gesehen weder wollen. Aus ihnen spricht die Überzeugung, der Farbe im Medium des Tafelbildes noch einmal zum geheimnisvoll strahlenden, nie ganz ergründbaren Selbstausdruck verhelfen zu können. Das ist schon deswegen riskant, weil der Künstler an keiner Stelle davor zurückschreckt, die Schönheit dieser zu sich selbst gekommenen Farbigkeit emphatisch zu feiern, und sich damit zu dem Prinzip einer Bildlösung bekennt, die der vorherrschenden Methode von Differenz-Bildung und Bildproblematisierung deutlich zuwiderläuft. Seine Legitimation aber bezieht dieses Projekt daraus, dass es zu seiner Haltung eben nicht auf dem Weg der Ignoranz oder polemischen Abgrenzung gegenüber kontextuell-konzeptuellen Malproblematisierungen gelangt, sondern auf der Basis einer Unabhängigkeit, die ebenso gelassen wie geduldig nur ihrer eigenen Spur folgt, und dabei zu Bildern gelangt, die nichts mehr beweisen müssen, weil alles auf ihnen ebenso sichtbar wie unsichtbar ist.


 
The Visibility of the Invisible
On Degenhard Andrulat’s New Works


All is visible, yet invisible, in Degenhard Andrulat’s work. The painting process is revealed as an evolving process, which not only watches itself evolve but also permits the onlooker to take part in the process. Yet at the same time, each work is deprived of its visibility by the many layers of colour constantly put on top of each other. Within this process, the pictorial relationship between ground and surface takes on a particular significance. The first colour Andrulat puts on the canvas - often it is a luminous and burning tone - marks the beginning of an artistic adventure, one that comprises up to twenty layers of paint, and whose direction and outcome remain open till the end. Andrulat’s way of painting has always been characterized by its concentration on colour as the only expressive agent of the picture. Thus it can maintain an equal distance from both the depersonalized, radical autonomy of pure monochromes and the indistinct subjectivity of painterly emotions. This position has nothing to do with indecision, but is based on the conviction that today’s pictures can only be successful if they counteract any un-ambiguity (? equivocation, ambiguity). That holds true both for the genesis of the pictures and for the onlooker’s perception of them.

As much as the working and perceiving process of the pictures may, and must, be characterized by surprises, the framework of the paintings are clearly and precisely defined. In Andrulat’s latest works, from 1999 and 2000, there are essentially four basic formats: small (110 x 75 cm), medium (160 x 110 cm) and large (180 x 160 cm). There is also the canvas, which is respectively the muslin, as a painting ground, and a (mainly) vertically organized surface. The painterly research in this three-pronged, experimental, constellation is nothing less than painting’s quest at its most essential: colour, painting ground, and picture format. Yet Degenhard Andrulat does not systemize his procedure down to the last detail. Instead he looks for the point where what is known and definite dissolves into what is possible. Thus his works become the iridescent and visual confirmation of the inexhaustible richness of painterly possibilities.

The pictures’ painterly order allows us to perceive the wilful, self-confidence of colour. The auctorial principle of pictorial genesis is always accompanied by contingent processes, where the many-layered colour strokes create a luminous, enigmatic, brilliant and opaque reality of their own. They release neither conflict, nor struggle nor antagonism, but instead, a synthesis of different pictorial realities able to balance opposing forces without suppressing them.

The principle of an oscillating synthesis of basically contrasting pictorial attitudes is played out on different levels in Andrulat’s work. His use of paint, which is put on the canvas in a pure and unmixed manner, clearly demonstrates this. It accentuates the proper value of the paint, while at the same time, through the layering process, the established value gradually disappears into the expression of both an indissoluble connection to the painter’s decision (and firmness) and the self-organization of its own colour.

The painter’s dealing with each created colour track follows this double strategy, too. The brush strokes (in most cases running from top to bottom, more rarely from bottom to top), down to each single brush hair, acquires the status of precise, self-imprints. On one hand, their prints are merely the expression of the strokes themselves, the mark of a painterly movement running across the whole surface. At the start, the brush is soaked with paint, to finish, in the lower (or sometimes upper) edge of the painting, when the brush paint starts to dry.

In that each painting is a faithful imprint of the painter’s hand showing its connection with the pictorial surface, the hot spot is where the "painting" is most closely bound to the "painter" and by which it necessarily becomes both a portrayal (of the painter) and a self-portrayal of painting. Here we must note that Andrulat’s 180 x 160 formats are already anthropomorphous in size and dimension, a choice that is further reinforced by the strict verticality of the brushstroke.

This ambivalence a side, the brushstroke also appears as an ever-possible pictorial motif. In this case the lines and colour courses, becoming thicker or thinner, running together or apart, are to be interpreted as the subject of the painting, raised both out of its ground yet set firmly into it.

In the end, the dialectics of Andrulat’s pictorial constellations may also be seen in relation to surface and space. On one hand, this way of painting evokes pictorial space, as, due to the luminous first layer of paint, vertical traces between the multi-layered, bordering colour zones can be seen in parts of the painting. Warm, often yellow or orange-red light, glows through the over-laid darker zones, shining out of the ground in a pure and unmixed way, like sunlight spilling through the spaces of an unchinked wall. On the other hand, the illusion of space is pushed back onto the surface through the picture’s rhythmic, curtain-like verticality, an aspect which reinforces the horizontal or vertical, not the three-dimensional.

The question of perceiving the painting as space or surface is further complicated by the fact that, through the dialectics of margin and centre, its breadth of meaning widens. Andrulat‘s pictorial fields are rarely separated into vertical bands of similar width. Instead, the vertical structures are concentrated towards the margins. The entire central area often forms a relatively homogenous, dark and opaque field. The margins’ density directs the onlooker’s attention towards the pictorial endings (at the sides of the painting) and at the same time creates a horizontal pull, vying with the vertical pull inherent to the brush stroke. Characteristically, this acceleration does not point beyond the edges of the painting, in either the vertical or the horizontal direction. The vertical strokes’ "stoppage”, near the left and right sides of the picture, is not meant to transgress the material borders of the painting, but to respect them by accentuating them.

Compared to the extreme density and elaborately treated margins, the central picture zones appear almost "unoccupied". This is due to their overall evenness and consistency, and to the less obvious changes in the actual paint. Just as the quieter central fields are not zones of emptiness, the densification of the margins does not intend to enlarge the picture onto the adjacent wall. Both are elements of Andrulat’s fundamentally dialectical way of painting. The painter -so to say - marks the exterior edges of the picture twice, in order to demonstrate the necessity of enclosing the pictorial space, and, to give the dedramatized central zones their calmness. Yet despite Andrulat’s emphasis on these borders, they still remain pictorial surface.

Thus the triptych character inherent to certain paintings doesn’t suggest a desire to transcend – Andrulat’s matter-of-fact titles ward off any aura of mystical awakening. The titles only name the painting’s main colours, but serve to make clear that (the potential of every painting) (everything a picture can be) is decided within the painting’s borders and in relation to the colour, form and surface, which, painting after painting, has to be adjusted anew. In spite, or possibly even because of the comparability of his paintings, which is demonstrated formally, as well as procedurally (Andrulat works on several paintings at the same time and thus carries on the decision process from one painting to the next), all of the artist’s large format paintings are strictly individual pieces, and should be regarded as such. Their conviction helps us to divine (perceive), in part, the mysterious glow of the colour’s self-expression as a medium of painting. This is very risky, especially because the artist does not hesitate in his emphatic celebration of the beauty of self-confident painting. Thus does he become a spokesman of painterly solutions that run clearly against the grain of the prevailing method of pictorial differentiation and of looking at a picture as a problem to begin. Andrulat’s project is legitimized by the fact that it obtains its attitude not by means of ignorance or polemical demarcation, contrary to contextual and conceptual painting, but by an independence that follows its own track patiently and calmly. Degenhard Andrulat makes paintings that don’t have to prove anything, as all is equally visible and invisible in them.

Translated by Michael Stoeber and Heather Allen